Kopftuch und Unterdrückung

„Achtung!“ Unwillkürlich schwenkt meine rechte Hand aus und streift vom Hinterkopf her das Kopftuch wieder über die Haare. Mittlerweile - nach einer Woche Aufenthalt im Iran - habe ich mich fast daran gewöhnt, dauernd etwas um Hals und Haare gewickelt zu haben. Vor 3 Monaten habe ich sehr darüber nachgedacht, ob ich - trotz der vielversprechenden Reiseberichte unserer Freunde - tatsächlich in ein Land fahren möchte, in dem ich mich der Kopftuch- und Verhüllungspflicht unterwerfen muss und damit die symbolisierte Unfreiheit, die Frau hier erlebt, akzeptiere. Und bei der Suche und Anprobe von geeigneter Kleidung und Accessoires habe ich mich schwer getan: zu albern erschien mir der Anblick mit sackartigem, langem Oberteil und Kopftuch. 

Jetzt, nach Erfahrungssammlung in Großstadt und Wüstendorf, weiß ich, es gibt viel Spielraum auch bei diesem Thema in Persien. In Teheran war ich angenehm überrascht. Wenngleich jeder Frauenkopf Stoff trägt, sind längst nicht alle Haare versteckt. Im Gegenteil: viele junge Frauen haben nur einen Bruchteil ihrer perfekten Frisur mit einem schmalen, oft wehenden und farbenfrohen Tuch bedeckt. Dazu tragen sie durchaus auch engere Kleider und Leggins.

Traditionelle Frauen - und die haben wir dann schon bald auf der Reise außerhalb der großen Städte zuhauf gesehen - kommen dagegen in der Öffentlichkeit komplett in schwarz gehüllt daher. Und das ist auch für geübte Verschleierinnen nicht ganz einfach: ein riesiges schwarzes Tuch, der Tschador, wird über den Kopf gelegt und muss dann permanent gerichtet und gehalten werden. Mindestens eine Hand ist allein damit beschäftigt. Das führt zu skurrilen Situationen. Eine junge Mutter, die beim Überqueren der Straße ihr Kind an die Hand nehmen will, muss die Zähne zu Hilfe nehmen, um ihre Verhüllung sicher zu stellen.

Die Frauen haben aber viel Zeit zum Üben: schon als Neunjährige dürfen sie sich in der Öffentlichkeit nicht mehr „mit ihren Reizen“ darstellen. Öffentlichkeit, im Gegensatz zum privaten Raum, beginnt in traditionellen Familien, wenn andere Männer als Großvater, Vater, Sohn oder Bruder anwesend sind - das gilt auch im eigenen Haus. Und damit daheim nicht plötzlich ein unbefugter männlicher Gucker eindringt, haben alte Häuser zwei verschiedene Klopfer an der Tür, so weiß Frau, dass sie sich verhüllen muss, wenn laut und fordernd geklopft wird. Der weibliche Klopfer macht ein feineres und leiseres Geräusch.

Der private Raum kann aber auch viel weiter definiert werden. Moderne junge Leute legen hinter verschlossenen Türen die Schleier ab. Wofür sonst gibt es wohl die eleganten Kleider mit tiefem Dekolleté und Spaghettiträgern, die wir in Teheran in Schaufenstern gesehen haben? In Gasthäusern, in denen unsere Reisegruppe weitgehend mit den Gastgebern allein ist, dürfen auch wir die Kopftücher ablegen. Und das geschieht dann ganz schnell. Genauso in unserem Reisebus oder wenn wir an einsamen Orten allein unterwegs sind. 

Kopftuchzwang und Kleiderordnung mit erheblichen Sanktionsmöglichkeiten bei Verstoß passen nicht in meine Welt. Ich verstehe die Frauen gut, die im vergangenen Jahr ohne Haarbedeckung und mit schwarzen Tüchern auf Stöckern demonstriert haben. Sie sind aber in dieser Welt in der Minderheit. Darüber gesprochen habe ich noch mit keiner...und ich frage mich gerade, warum das so ist.

Als Gast in diesem Land habe ich die Spielregeln zu respektieren, auch wenn sie lästig sind und meinem Weltbild nicht entsprechen. Und für wenige Wochen mit einer gewissen „Narrenfreiheit“, die wir als Touristen im Schutze unseres Reiseleiters genießen, ist das auch gut zu ertragen.

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